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Wie wird Menschzentrierung Teil der DNA einer Organisation?

Kay Spiegel, UX-Berater bei UX&I in Düsseldorf
Von

Kay Spiegel

Menschzentrierung als Teil der DNA einer Organisation

“Wir denken menschzentriert” – so beschreiben wir unser Mindset bei UX&I. Was wir damit meinen: Wir schaffen nicht nur Produkte, die Nutzer*innen in den Mittelpunkt stellen, sondern bei unserer gesamten Arbeitsweise spielt der Mensch die wichtigste Rolle. Davon leitet sich beispielsweise auch unsere soziokratische Organisationsstruktur ab, deren Vorteile wir in diesem Artikel erläutern. Wir sind überzeugt: Die menschzentrierte Denkweise muss als ganzheitliche Grundhaltung verankert sein, um nachhaltig gute Produkte entwickeln zu können. Daher ist es auch auf Projekten unser Ziel, nicht nur Methoden zu vermitteln, sondern unsere Kund*innen auf dem Weg zur umfassenden Menschzentrierung zu begleiten.

Doch warum eigentlich? Und wie kann es gelingen, UX-Prinzipien über sämtliche Ebenen im Unternehmen wirken zu lassen? Welche Schritte sind nötig? Wir geben dir einen kleinen Einblick in unsere Erfahrungen.

Menschzentrierung ja, aber warum ganzheitlich?

Zunächst zur Frage, warum Menschzentrierung eine Haltung sein sollte. Nehmen wir das alles mit unserer UX-Brille zu ernst? 

Wir haben gelernt: Je mehr ein Unternehmen auch intern, beispielsweise was die Kultur und den Umgang miteinander angeht, im Sinne der Bedürfnisse der beteiligten Menschen denkt und handelt, desto einfacher ist es, diese Haltung auch auf die Produktentwicklung zu übertragen. Wenn eine Organisation sehr hierarchisch aufgebaut ist, ist dies in den Projektteams abgebildet. Auch die/der Product Owner ist dann Führungsperson und Entscheidungsträger*in. Es ist in einem solchen Setting viel schwieriger, in der Produktentwicklung plötzlich anders zu denken und abseits von Hierarchieebenen strikt nach den Bedürfnissen der Nutzer*innen zu handeln.

Natürlich sind Unternehmen immer wirtschaftlich getrieben. Die Wirtschaftlichkeit und auch die Organisationsstruktur lassen sich nicht ausblenden, wenn der Mensch in den Fokus rücken soll. Auch persönliche Ziele – und evtl. daran geknüpfte Boni – können einer reinen Menschzentrierung entgegenwirken. Als Berater*innen ist es hier unsere Aufgabe, diese Dinge offen anzusprechen. Glücklicherweise ist es so: Je konsequenter im Sinne von Nutzer*innen gearbeitet wird, desto besser sind die Produkte und desto erfolgreicher somit auch das Unternehmen. Gute UX spielt vielen anderen, individuellen Zielen in die Karten.

Reichen nicht ein paar UX-Expert*innen?

Auch wenn der Weg oft lang und steinig ist: UX muss in das gesamte Unternehmen getragen werden. Es reicht nicht, wenn nur diejenigen menschzentriert denken, die auch direkt an der UX eines Produkts arbeiten. Finanzverantwortliche müssen den Wert von UX verstehen, Personalabteilungen müssen wissen, nach welchen Profilen sie suchen sollten oder wie ein Onboarding im Sinne von Menschzentrierung aussehen kann. Auf den unterschiedlichsten Ebenen ist ein Grundverständnis nötig, damit Nutzerzentrierung effektiv wirken kann. Dabei hilft es immer, den Wert einer guten UX datenbasiert zu zeigen und zu beweisen, dass sich mit Nutzerzentrierung Geld verdienen lässt.

Dimensionen der UX-Transformation

Was bedeutet es nun genau, Menschzentrierung zu verankern? Wo fängst du an, wann ist das Ziel erreicht? Relevant sind vor allem vier Dimensionen, welche wir im Prozess querschnittartig angehen. 

Dimensionen der UX-Transformation
Dimensionen der UX-Transformation

Prozesse und Strukturen

Zu Beginn muss ganz genau betrachtet werden: Was sind die Voraussetzungen, die ein Unternehmen mitbringt? Wie ist die Organisation aufgestellt, welche Strukturen gibt es schon, welche Rollen gibt es im Hinblick auf Menschzentrierung und agile Entwicklung? Wie und wo kann UX am besten andocken?

Tools und Methoden

Generell werden das Tooling und auch Methoden oft überbewertet. Sie lösen nicht alle Probleme – sind aber wichtige Bausteine. Wir klopfen anfangs ab: Was ist bereits bekannt, was wurde schon ausprobiert, was hat geklappt und was nicht und warum hat etwas nicht geklappt? Ist es vielleicht eine Trainingsfrage? Gerade Methoden werden schnell verworfen, weil das Handwerkszeug fehlt. Beispielsweise Personas: Damit diese ihren Zweck erfüllen können, ist es wichtig zu verstehen, wie sie sinnvoll erstellt werden und wie damit effektiv gearbeitet werden kann. Oft werden im Alltag nur noch Versatzstücke eigentlich ganzheitlicher Methoden verwendet und es entsteht Frust. Es lohnt sich, hier genau hinzuschauen.

Leadership und persönliche Entwicklung

Am Anfang eines Enablement-Projekts prüfen wir auch immer: Was ist der Reifegrad der einzelnen Teilnehmer*innen? Wie kann eine persönliche Entwicklung aussehen, welche Voraussetzungen bringen die Menschen mit? Und es ist wichtig, die Brücke zum Leadership zu schlagen, denn dieses muss hinter der UX-Transformation des Unternehmens stehen und diese mittragen. Wir sensibilisieren Entscheidungsträger*innen dafür, dass das UX-Mindset – und die kontinuierliche Weiterentwicklung der Menschzentrierung – vorgelebt werden müssen, dass das Leadership Korridore öffnen sollte, damit Teams und einzelne Personen wirken können. 

Kultur und Sichtbarkeit des Themas

Oft ergibt sich eine Diskrepanz, wenn es darum geht, das Bewusstsein für Menschzentrierung weiterzutragen. Denn einerseits ist das Thema in vielen Bereichen des Unternehmens noch komplett unsichtbar, andererseits wird an Einzelne die Erwartung gestellt, dass sie missionarisch dafür kämpfen, dass die Denkweise plötzlich überall bekannt ist und gelebt wird. Das kann schnell frustrieren.

Aber zwischen “Keiner hat eine Ahnung” und “Alle müssen es wissen” liegt eine weite Spanne. Oft geht es erstmal nur um die Basis, beispielsweise um die Frage: Wer benutzt eigentlich unsere Produkte und was brauchen diese Menschen, während sie das tun? Es hilft, zunächst ganz einfache Botschaften in die Organisation zu tragen. Nicht jede*r muss den Unterschied zwischen formativem und summativem Usability-Test kennen. Aber die Wirkkraft von Research und Testing sollte generell verstanden werden. Die Organisation sollte auch anfangen zu lernen, Gestaltungsentscheidungen von datenbasierten Erkenntnissen abzuleiten. Und ganz wichtig ist die Einsicht: Wir alle dürfen Fehler machen, ohne dass dies automatisch als Scheitern bewertet wird. Wenn uns unsere Datenerhebung sagt, dass etwas nicht funktioniert, ist dies kein Fehlschlag. Es ist sogar ein Gewinn, denn wir haben etwas gelernt. Wir sprechen übrigens nicht gern von Fehlerkultur, sondern von Lernkultur. 

Wir haben einen Prototypen gebaut und wir haben einen super Erfolg gefeiert, weil wir gemerkt haben, der funktioniert nicht. Das ist ein richtig großer Schritt.

Wo beginnen?

Keine der vier Dimensionen ist prinzipiell wichtiger als die andere, und es gibt keine natürliche Reihenfolge, in der sie angegangen werden sollten. Wir setzen eher Priorisierungen für den Status quo und lassen die Dimensionen auch ineinanderlaufen. Wichtig ist es dafür, Ziele, Voraussetzungen und generelle Gegebenheiten im Unternehmen zu identifizieren. Wir fragen auch, was hat einen hohen Impact fachlich und inhaltlich und was macht bei den Menschen am meisten Klick – denn dann sind die Chancen hoch, dass UX-Methoden und -Prinzipien intern weitergetragen werden und ganz automatisch Sichtbarkeit bekommen. Dazu ist es hilfreich, den größten Schmerz sichtbar zu machen und daran zu arbeiten, einen kleinen Bewusstseinswandel in diesem Bereich entstehen zu lassen. Dieser erste Funke muss einmal ins Spiel gebracht werden und andere Leute entflammen.

Es geht um die Frage: Welches Zahnrad dieses Uhrwerks schnappe ich mir als erstes? Wenn die ersten Dominosteine identifiziert sind, purzeln die nächsten ganz automatisch.

Tipps und Erkenntnisse

Menschzentrierung muss Kreise ziehen

UX-Enablement bedeutet nicht, den Methodenkoffer auszupacken und das Handwerkszeug an einen ausgewählten Expertenkreis zu vermitteln. Vielmehr arbeiten wir daran, UX-Prinzipien als übergreifendes Mindset zu verankern und auf allen drei Ebenen – Einzelperson, Team und Organisation – Kreise ziehen zu lassen. Die ersten beiden Ebenen sind schon ein guter Schritt, aber die Kreise müssen auf die Organisation auslaufen, um Wirkung zu haben. Und tatsächlich zieht Menschzentrierung oft Kreise, wenn sie einmal an der richtigen Stelle etabliert wurde. Doch wo fangen diese Kreise an? Meistens gibt es zunächst mal ein Produkt, das nutzerzentriert werden soll. Es geht also in einem Produktteam los. Dann kann überlegt werden, wie das Weitertragen fazilitiert werden kann. Beispielsweise durch Grundlagentrainings und den Aufbau einer internen Community aus den Trainingsteilnehmer*innen, durch Gilden und Chapters, durch Kaminabende, UX Book Clubs usw. Es geht immer darum, Kommunikation zum Thema UX zu ermöglichen. Dies braucht Zeit und Legitimation. Als UX-Berater*innen begleiten und unterstützen wir diesen Prozess, der Wille zur Transformation muss aber aus dem Unternehmen kommen.

Wir können Steine werfen, aber wir sind nicht das Wasser.

Es gibt kein One-size-fits-all 

Oft hören wir: “Wir würden gern das Modell von Spotify nutzen, wie machen wir das?” Leider ist die Antwort: Das ist das Modell von Spotify. Aber ihr braucht euer Modell. Jeder Kontext ist anders. Gerade Organisationen, die am Anfang stehen, wünschen sich oft ein bestimmtes Framework und verkennen dabei, dass es vielleicht gar nicht zum eigenen Kontext passt. Wir können aber durchaus prüfen, welche Schritte oder Prinzipien aus erfolgreichen Modellen extrahiert werden können, um einen ersten Impact auf die Teamzusammenarbeit und auf den Produktentwicklungsprozess zu bewirken – und so für kleine Erfolgserlebnisse zu sorgen. Diese Fragmente müssen dann jedoch in ein individuelles Konzept ausgerollt werden. Es ist nie sinnvoll, ein Modell überstülpen, ob es um Prozesse, Methoden oder Tools geht.

Es geht um Menschen

Veränderung hat auch immer eine soziale Dimension und braucht auch auf dieser Ebene Begleitung. Zuhören, Menschen ernst nehmen und gemeinsam auf eine Reise gehen, das sind enorm wichtige Aspekte, und sie brauchen die meiste Zeit. Doch sie schaffen das Vertrauen, das für Verhaltensänderungen und ganzheitliche Transformationen nötig ist.

Es gibt nicht den einen Reifegrad 

Wir arbeiten gerne mit dem Modell von Norman Nielsen, um den UX-Reifegrad von Unternehmen zu ermitteln: 

UX-Reifegrad-Modell nach Nielsen Norman
UX-Reifegrad-Modell nach Nielsen Norman
UX-Reifegrade nach Nielsen Norman (vgl. nngroup.com/articles/ux-maturity-model)

Spoiler: Stufe 6 ist der heilige Gral. Es gibt kein Unternehmen, das sich dort befindet. Zugleich ist die Erkenntnis wichtig, dass kein Unternehmen nur den einen Reifegrad besitzt. Einzelne Mitarbeiter*innen haben einen bestimmten Reifegrad und das Unternehmen einen anderen. Je größer die Organisation ist, desto schwieriger lässt sich dieser bestimmen. Der Reifegrad ist auch abhängig davon, wie nah die jeweilige Abteilung am Produkt arbeitet und um welche Art von Unternehmen es sich handelt: Ein Automobilzulieferer ist anders zu bewerten als ein Software-Unternehmen. Entscheidend ist: Wer braucht welches Niveau, wo liegt der Fokus? Müssen Entwickler*innen den gleichen Reifegrad haben wie UX-Designer*innen? Dies muss individuell abgewogen werden. Generell gilt: Sobald Kontakt zu Nutzer*innen besteht, ist ein gewisser Reifegrad notwendig – auch wenn nicht gleich Stufe 6 das Ziel sein muss. 

Lernen ist ein Prozess

UX-Transformation ist ein langer Weg und braucht Geduld bei allen Beteiligten. Einzelpersonen ändern sich oft viel schneller als die Organisation. Es hilft, sich von Anfang an klar zu machen, dass es um kleine Schritte geht. Natürlich können wir uns den höchsten UX-Reifegrad wünschen, aber erstmal gehen wir nicht vom Idealbild aus, sondern legen fest, was in einem Monat anders sein soll. Wir sprechen nicht von einem Sprint, sondern von einem Marathon. Wir beginnen zuhause und besprechen erstmal, was wir einpacken müssen und wo das erste Etappenziel liegt.

Ein hilfreiches Bild liefern auch die Basecamp Hillcharts. Die Berg-Kurve zeigt: Der Prozess ist nie linear, am Anfang ist es mühsam, erst ganz oben haben wir die Übersicht, nach unten geht es einfacher. Wir nutzen das Hillchart am Anfang und am Ende einer Projektphase und fragen jedes Mal: An welcher Stelle sehr ihr euch gerade, wie sicher fühlt ihr euch?

Basecamp Hillcharts
UX-Beratung mit Büros in Düsseldorf, München und Berlin | UX&I
Basecamp Hillcharts (vgl. 3.basecamp-help.com/article/412-hill-charts)

Wann ist UX-Enablement erfolgreich?

Der für uns entscheidende Turning Point im UX-Enablement ist erreicht, wenn UX einen Platz am Tisch hat – auch wenn dieser erstmal nur innerhalb der Produktteams liegt. UX wird nicht mehr als etwas angesehen, das irgendwie getan werden muss, sondern wird als entscheidungsrelevant anerkannt. Nutzerzentrierung hat den Status erreicht, um auf Unternehmensstrategien und -ziele einwirken zu können. Dazu braucht es formalisierte Prozesse und Strukturen, die das Thema verantworten. Ein gutes Erfolgskriterium ist auch, dass Research fester Teil des Prozesses ist und jedem bewusst ist: 

Eine Studie einzukaufen reicht nicht, ein Telefonat ist noch kein Research.

Und wir sind zufrieden, wenn sich Teams auf dieser Skala weiterentwickeln:

  1. „Geh mir weg mit UX."
  2. „Wir haben verstanden, worum es geht."
  3. „Wir kaufen UX ein."
  4. „Wir bauen UX selbst auf."
  5. „Nutzerzentrierung ist eine Haltung."

Fazit

Menschzentrierung kann umso besser wirken, je ganzheitlicher sie gelebt wird. Zum einen auf inhaltlicher Ebene – also nicht nur, wenn es konkret um die UX eines Produktes geht, sondern als Haltung in allen Bereichen, in denen der Mensch eine Rolle spielt. Dies betrifft beispielsweise auch die Art, wie Teams intern miteinander arbeiten, wie Unternehmen organisiert sind, wie Bedürfnisse Einzelner priorisiert werden. Andererseits bezieht sich die Ganzheitlichkeit auf die Unternehmensebenen. Nur wenn alle Abteilungen und Ebenen von einzelnen Mitarbeiter*innen über Teams bis zur ganzen Organisation zumindest ein Grundverständnis von Menschzentrierung und UX-Prinzipien internalisiert haben, kann UX-Transformation nachhaltig vorangetrieben werden. Externe Dienstleister können den Prozess unterstützen, der Antrieb aber muss von innen kommen:

Wenn ein Unternehmen nicht gewillt ist, menschzentriert zu arbeiten, dann wirst du keine Nutzerzentrierung in Produkten hinbekommen.

Übrigens: Warum es sinnvoll ist, UX nicht nur einzukaufen, sondern im Unternehmen aufzubauen, erfährst du im Artikel: Warum du UX inhouse etablieren solltest – und wie du es machst.

Wir sind gespannt, wie sich die Bedeutung von Menschzentrierung weiterentwickeln wird und freuen uns, diesen Perspektivwandel weiter gemeinsam mit unseren Kund*innen voranzutreiben.

Unser Experte

Kay Spiegel, UX-Berater bei UX&I in Düsseldorf

Kay Spiegel

Senior UX-Berater

Kay befähigt Projektteams und Organisationen, Schritt für Schritt agiler und menschzentrierter zu werden. Dabei greift er auf seine fast 20-jährige Projekterfahrung zurück.

Inhaltsverzeichnis
  1. Menschzentrierung ja, aber warum ganzheitlich?
  2. Reichen nicht ein paar UX-Expert*innen?
  3. Dimensionen der UX-Transformation
  4. Wo beginnen?
  5. Tipps und Erkenntnisse
  6. Wann ist UX-Enablement erfolgreich?
  7. Fazit

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Nadine Pieper, Senior UX-Beraterin

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Nadine Pieper, Senior UX-Beraterin

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