Eines der Grundziele von UX&I ist das Enablement unserer Kund*innen. Warum eigentlich? Was haben Organisationen davon, eigene UX-Expertise zu besitzen? Und wie schaffst du es, diese Expertise in deinem Unternehmen “aus dem Nichts” aufzubauen?
UX ist immer eine gute Idee
Bevor wir in die Vollen gehen, zunächst eine Grundsatzfrage – sie gibt schon erste Hinweise, warum UX-Expertise über kurz oder lang intern vorhanden sein sollte: Welche Vorzüge hat UX überhaupt in der Produktentwicklung? Mit der Antwort könnten wir Bücher füllen, aber diese drei Hauptgründe helfen hier schon weiter:
- Menschzentrierung: UX stellt sicher, dass Prozesse, Denkweisen – und schließlich das Produkt – auf den Menschen bzw. die Nutzer*innen ausgerichtet sind.
- Geschwindigkeit: UX-Methodik zielt darauf ab, das bestmögliche Produkt schnellstmöglich auf den Markt zu bringen.
- Wirtschaftlichkeit: Gerade die frühe Etablierung von UX steigert die Effizienz der Prozesse und spart Kosten.
Deshalb ist interne UX-Expertise sinnvoll
Nun könntest du sagen: Überzeugt, UX ist wichtig, kaufen wir es uns einfach. Das ist möglich. Vom UX Design über UI Design bis zur Frontend Entwicklung könntest du prinzipiell alles an externe Dienstleister auslagern. Warum das aber nicht zu empfehlen ist?
UX ist einfach zu wichtig
UX wirkt immer, ob du willst oder nicht. Ob geplant oder ungeplant. Ob zum Guten oder zum Schlechten. Werden UX-Prinzipien nicht integriert und wird die User Experience nicht aktiv gestaltet, kann es passieren, dass dein Produkt an den Nutzer*innen vorbei entwickelt wird. Im schlimmsten Fall merkst du dann erst sehr spät, dass es am Markt nicht akzeptiert wird. Bis dahin sind viel Zeit und Geld geflossen, Änderungen sind nicht mehr ohne großen Aufwand möglich. Wenn UX fest in die Produktentwicklungsprozesse einer Organisation verankert ist, erhält sie den Platz, der ihrer Bedeutung gerecht wird. Du stellst von Anfang an sicher, dass dein Produkt zu den Bedürfnissen der Nutzer*innen passt.
Fundiertes Wissen und Verständnis interner Zusammenhänge
Wenn wir als UX-Berater*innen auf ein neues Kundenprojekt kommen, setzen wir alles daran, das Produkt und auch die Organisation bis ins Tiefste zu verstehen. Wir hören zu, denken, bohren nach. Das hilft nicht nur uns selbst, sondern oft dem ganzen Team. Dennoch haben Interne einen großen Vorteil: Nicht nur verfügen sie von vornherein über fundiertes Wissen – sie verstehen gleichzeitig das große Ganze im Unternehmenskontext. Sie wissen um interne Abhängigkeiten und politische Stolpersteine. Sie kennen die anderen Mitarbeiter*innen und das Unternehmen besser als Außenstehende.
Kontinuität gibt Sicherheit
UX ist ein Mindset – eine Denk- und Arbeitsweise, die am besten wirken kann, wenn sie im ganzen Unternehmen gelebt wird. Durch Interne kann ein Mindset am überzeugendsten ins Unternehmen weitergetragen und nachhaltig verankert werden, auch abteilungsübergreifend. Ein weiterer Vorteil: Interne Ressourcen sind gut planbar und immer greifbar. Wenn du UX-Expert*innen fest im Haus hast, kannst du sicherstellen, dass Nutzerbedürfnisse zu jeder Zeit berücksichtigt werden.
Es gibt also stichfeste Argumente, UX inhouse zu haben. Sollte demnach jedes Unternehmen, vom Start-up bis zum Dax-Konzern, so schnell wie möglich loslegen und UX-Expert*innen einstellen? Theoretisch ja. Doch dann ist da noch die Realität. Gerade in jungen Unternehmen fehlt es oft an Geld und Zeit für interne UX-Ressourcen. Der Fokus liegt erstmal auf der technischen Umsetzung. In gewachsenen Unternehmen wäre es zwar möglich, Expert*innen einzustellen, oft aber mangelt es am internen Know-how für das Suchen und Finden der richtigen Kandidat*innen. Wie baut man UX auf, wer wird gebraucht, wie können die Ressourcen in die bestehende Organisationstruktur integriert werden? All diese Fragen können nicht ohne Weiteres fachfremd beantwortet werden.
Kurzum: Gerade am Anfang ist externe Unterstützung durchaus hilfreich. Dazu ein paar Tipps.
Darauf kommt es bei externer Unterstützung an
Sicher kann jede Hilfestellung von außen anders aussehen und unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Dennoch möchten wir dir einige Kriterien an die Hand geben, die wir als sinnvolle Merkmale externer Dienstleister erachten – und nach denen wir daher auch selbst arbeiten.
Dienstleister arbeiten nicht für euch, sondern mit euch
Wenn wir als UX Berater*innen gerufen werden, lautet unser ursprünglicher Auftrag oft: Wir haben dieses oder jenes Usability-Problem, bitte löst es. Das tun wir dann auch, allerdings nie allein im stillen Kämmerlein. Wir bilden ein Team mit unseren Kund*innen und erarbeiten zusammen eine Lösung mit allen nötigen Disziplinen. Entscheidend ist, dass Interne von Anfang an eingebunden werden. Dies ist schon allein wichtig, damit Externe das Produkt und die Nutzer*innen verstehen können. Dieses Wissen kann nur aus dem Unternehmen selbst kommen. Andersherum hilft die Zusammenarbeit auch, das Verständnis für UX ins Unternehmen zu bringen
UX ist Teamwork und funktioniert am besten, wenn es von allen verstanden und getragen wird. Kommunikation und ein Austausch auf Augenhöhe sind ausschlaggebend. Wir nennen uns daher auch nicht UX-”Agentur” – also ein Dienstleister, der etwas für seine Auftraggeber*innen erledigt – sondern UX-”Beratung”. Auch wenn die sprachliche Unterscheidung nicht immer getroffen wird, so kannst du doch bei einem Dienstleister vorher abfragen, inwiefern das Miteinander-Arbeiten gelebte Praxis ist.
Enablement ist von Anfang an das Ziel
Wir haben weiter oben festgestellt, dass es immer sinnvoll ist, UX früher oder später in die Organisation selbst einzugliedern. Das funktioniert nur, wenn auch externe UX-Expert*innen vom ersten Tag an dieses Ziel im Auge haben und ihr eigenes Handeln darauf ausrichten. Sie sollten daran arbeiten, sich ab einem gewissen Zeitpunkt selbst überflüssig zu machen. Das muss die Basis sein, sonst besteht die Gefahr, dass sich schnell intern die Denke einschleicht – da ist jemand, der das gut kann und für uns erledigt. Wie aber erkennst du diese Ausrichtung bei einem Dienstleister? Das Angebot von teamübergreifenden UX-Workshops, von persönlichem Coaching und Mentoring ist ein wichtiges Kriterium. Dabei sollte nicht nur spezifisches UX-Wissen wie Methodik und Prozesse vermittelt werden. Genauso sollte auch Unterstützung beim Aufbau interner UX-Ressourcen geboten werden, z. B. Hilfe bei der Personalsuche.
Wann starten?
In der Regel wird eine UX-Abteilung nicht von Null auf 100 eingerichtet. Sie beginnt klein und wird dann je nach Bedarf, finanziellen Mitteln, Unternehmensgröße etc. ausgebaut. Es ist auch völlig in Ordnung – gerade in jungen Start-ups – UX anfangs auszulagern. Wichtig ist nur, von Beginn an die UX-Expertise inhouse mitzudenken und zu starten, sei es auch in kleinen Schritten. Vielleicht nur, indem sich erstmal das vorhandene Team UX-Kenntnisse aneignet. UX muss Schritt für Schritt Teil der DNA werden.
Wann also starten? So früh wie möglich und lieber sofort als gleich zu 100 %.
Wen brauchst du? Tipps für das Recruiting
Suche eine/n Pionier*in
Wenn du das erste Mal eine feste UX-Stelle vergibst, ist die genaue Rolle der Kandidat*in erstmal zweitrangig. Gerade für das Initialteam brauchst du Profis, die Werkbank kannst du als Letztes intern besetzen. Du brauchst jemanden, der für Nutzerzentrierung brennt und über den Tellerrand schaut. Jemanden, der Leute entflammen kann. Die Bewerber*in hat als “Pionier” die wichtige Aufgabe, UX im Unternehmen zu etablieren und Nutzerzentrierung zum People-Catcher-Thema zu machen. Das kostet ungeheure Energie. Und man muss mit Ungewissheit umgehen können.
Was sollte in der Bewerbung stehen?
Es kann ruhig ein bunter Lebenslauf sein. Am Anfang muss erstmal eine Vision entwickelt werden und ein Grundgerüst aufgebaut werden. Er oder sie kann daher auch aus anderen Bereichen kommen. Toll ist, wenn Kandidat*innen schon mal ein eigenes Unternehmen geführt haben, viel gesehen haben. Zertifikate von Fraunhofer, artop oder German UPA sind gut, besser noch ein Studium im Bereich Human-Computer-Interaction, Medieninformatik, psychologische Informatik oder ein übergreifender Studiengang in dem Bereich. Aber UX ist noch relativ frisch, es gibt viele gute Quereinsteiger, z. B. aus Design, Kommunikation und Text.
Wo findest du Kandidat*innen?
Bewerber*innen triffst du z. B. auf Messen wie der German UPA Jobmesse oder auf Konferenzen wie Beyond Tellerrand oder Smashing Conf. Du kannst natürlich passende Profile auf LinkedIn, Xing oder Das Auge direkt anschreiben. Oft lohnt es sich auch, spezialisierte Recruiter hinzuzuziehen. In Ausschreibungen solltest du möglichst präzise suchen und nicht die eierlegende Wollmilchsau beschreiben. Auch im Gespräch ist entscheidend, dass du weißt und zeigst, was du willst. Erkläre den Purpose und die Vision eurer Organisation, so wird schnell erkennbar, ob ihr zueinander passt. Wir stellen uns immer die Frage, wollen wir mit dem Menschen zusammenarbeiten. Vertraue deinem Bauchgefühl.
So könnte es aussehen: 3 beispielhafte UX-Orgastrukturen
Die nüchterne Wahrheit: Es gibt kein Geheimrezept für die perfekte UX-Abteilung. Jedes Unternehmen ist anders, bringt spezifische Rahmenbedingungen mit und befindet sich in unterschiedlichen Ausgangslagen. Damit du dennoch ein Gespür bekommst, wie sich UX-Expertise in eine Organisation einbinden lässt, hier drei Beispiele aus unserer Arbeitspraxis.
steadybit: UX in der frühen Start-up-Phase
Alle drei Gründer von steadybit sind Entwickler. Das hatte anfangs viele Vorteile, die Umsetzung ging schnell voran. Das Problem aber: Das UI war nicht gut bedienbar. UX&I wurde gerufen, um die Usability zu verbessern, gleichzeitig war von Anfang an klar: die drei Gründer wollen UX selbst lernen. Wir haben viele Workshops gemacht und gemeinsam Grundlegendes herausgefunden. Welche Stärken hat das Produkt, welche Schwächen, was soll es können, was erwarten Nutzer*innen und wie sehen die Kund*innen eigentlich aus. Dabei haben wir im Prozess immer wieder Tools vermittelt, einige davon sind heute tägliches Handwerkszeug, z. B. das Design Studio oder die Affinity Map.
“Strategisch ist es so: UX muss Teil von steadybit sein“, so Benjamin Wilms, Mitgründer und CEO von steadybit. “UX ist die Kernkompetenz, wenn du ein Produkt baust. Die Leute müssen sich hundertprozentig damit auseinandersetzen können. Gerade hat unsere eigene UX Product Designerin angefangen, das ist der erste Schritt. Genauso brauchen wir aber auch eigene UI Designer*innen. Der Kundenstamm wächst, da ist dann das Bottleneck zu groß. Aus dem anfänglichen Bedarf sich die UX-Expertise gezielt mit Hilfe von UX&I reinzuholen, hat sich über die Zeit ein deutliches Bild entwickelt, wie ein Produkt Team bei Steadybit aussehen muss. Wenn wir von einem Produkt Team sprechen, arbeiten in diesem Teams Menschen mit unterschiedlichen Skills gemeinsam an der Lösung vom Problem. Dabei arbeiten Product Manager, UX Product Designer, UI Designer und Software Engineers gemeinsam an der Lösung. Nur wenn alle mitgenommen werden und mit ihrer Expertise zur Lösung des Problems beitragen, entwickelt sich eine Collective Ownership im Team und alle tragen die Lösung mit. UX ist dabei keine Phase die einen festen Start und Endzeitpunkt hat, UX muss kontinuierlich innerhalb der Produktentwicklung stattfinden. Das gesamte Produkt Team trägt dazu bei und es wäre fatal wenn Silos entstehen und fertige Lösungen nur über den Zaun geworfen werden und blind implementiert werden.”
Mehr zu Etablierung von Nutzerzentrierung bei steadybit findest du hier: “Deep Tech trifft Nutzerzentrierung: zwei griffige Methoden zum Durchstarten”.
Das UX/UI Chapter bei One Data
One Data (ehemals ONE LOGIC) wurde 2013 gegründet und hat mittlerweile fünf feste interne UX/UI-Expert*innen. UX&I war vom ersten Usability-Check dabei und half ONE LOGIC beim Aufbau der inhouse UX-Expertise. ONE LOGIC hat auf dem Gebiet UX fliegen gelernt, heute unterstützen wir vor allem noch bei Impulsvorträgen zu UX-Themen oder bei Kapa-Engpässen.
“Unser Ziel ist es, uns im UX/UI Chapter generalistisch auszurichten und uns umfassend in vielen UX-Themen auszukennen. Wichtig ist daher das Interesse, sich weiterzuentwickeln. Unser Langzeitziel ist es, auf dem Gebiet User Experience vollständig autark zu sein”, so Kyra Bollmeyer, Teamlead UX/UI bei One Data.
Übergreifend ist One Data in mehrere Departments strukturiert. Das UX/UI-Chapter ist im Software Development Department aufgehängt. Jede/r UXler*in sitzt in einem Entwicklungsteam. Damit die UX einheitlich ist und die UX-Expert*innen den Kontakt untereinander nicht verlieren, treffen sie sich jeden Tag im UX/UI Daily. Sie tauschen sich über Probleme aus, planen Peer Reviews oder besprechen, ob neue Components in der Library ergänzt werden sollten.
Mehr dazu erfährst du im Case “Vom Usability-Review zur eigenen UX/UI-Abteilung”.
METRO Systems: von der Pattern Library zum UX Hub
Aus dem Auftrag, für METRO Systems eine Pattern Library mitaufzubauen, ergab sich für uns erstmal eine Frage: Welches Problem soll das Designsystem eigentlich lösen? Wir starteten eine interne Researchrunde, um herauszufinden, was gebraucht wird und wie aktuell gearbeitet wird. Dabei kam zum Beispiel heraus, dass zwar alle Entwickler*innen in der gleichen Programmiersprache schreiben, es aber große Unterschiede gibt, wie daraus Komponenten und Patterns entstehen. Eine Pattern Library würde also nicht das Problem lösen. Schnell wurde auch klar, dass Nutzerzentrierung und Einheitlichkeit nicht top down funktionieren würden.
Stakeholder und Entscheider*innen wurden sensibilisiert, dass es dafür ein Team geben muss. Der Startschuss für eine lose Community of Practice/Gilde war gefallen. Darin kamen Interessierte zusammen, darunter Designer*innen, UX-Expert*innen, (Frontend)-Entwickler*innen. Nachdem eine gemeinsame Basis festgelegt wurde, wurden Aufgaben verteilt. Die Gilde erhielt immer mehr Wirkmacht und Buy-in von oben. Es gab bald ein kleines Team für die erste Pattern Library.
Der nächste große Job der Gilde: Spread the love. Der UX-Mindset musste etabliert werden. Es wurden schließlich ein UX Lead und ein Design Lead sowie UX und Designfachkräfte eingestellt – mit je zwei Schreibtischen, einer im mittlerweile gegründeten UX Hub und einer in den Entwicklungsteams. Wir als externe Dienstleister schlüpften immer mehr in die Rolle eines Facilitators, beispielsweise für teamübergreifende Workshops, wenn im Designsystem große Veränderungen anstanden.
Fazit
Drei Punkte sind zentral, wenn es um den Aufbau von UX-Expertise geht:
- UX wirkt immer und sollte daher von Anfang an Teil der Produktentwicklung sein.
- UX solltest du früher oder später inhouse haben.
- Externe UX-Dienstleister sollten dir dazu verhelfen, eigene Expertise aufzubauen.
Wie genau der Weg aussieht und wie sich UX-Ressourcen entwickeln, hängt immer von den spezifischen Anforderungen in deinem Unternehmen ab. Wir hoffen, wir konnten dir einige grundlegende Tipps und Denkanstöße mitgeben.
Wir wünschen dir viel Erfolg! Bei Fragen helfen wir dir immer gern weiter.