Friederike verrät uns im Interview, wie es gelingt, Produkte zu schaffen, die aus der Nutzerperspektive konzipiert sind und am Markt funktionieren – und wie dafür bestehende Prozesse in der Konzernwelt aufgebrochen werden können.
Friederike Coenen
Business Development Manager bei BMS
Als externe Produktmanagerin berät Friederike Banken und Finanzdienstleister in Innovationsprozessen und digitaler Produktentwicklung. Mit im Gepäck: starkes Methodenwissen von weltweit renommierten Business-Schulen, fachliche Expertise als Bänkerin sowie mehrere Jahre als Beraterin. Seit 2019 dürfen wir Friederike beim Thema UX Enablement in mehreren Projekten von BMS Consulting begleiten. Aktuell arbeitet sie für das Projekt “Kundenfokus” mit dem Ziel, Banking näher an die Lebenswelt der Kunden zu rücken.
Produktentwicklung bei BMS
Friederike, welche Rolle übst du aus?
Als externe Produktmanagerin verantworte ich sowohl die Fachlichkeit als auch die Übersetzung in IT-Anforderungen. Ich arbeite daran, die Vision sichtbar zu machen. Jeder im Team soll verstehen, warum wir tun, was wir tun. Gemeinsam überlegen wir, wie wir dieser Vision näher kommen können. Konkret in unserem Fall: Wie können wir den Alltag eines Mittelständlers mit Hilfe von Software bereichern?
Wie läuft der Produktentwicklungszyklus bei euch ab?
Wir greifen uns ein Problem und versuchen es zu verstehen. Dann experimentieren wir, um eine gute Lösung hervorzubringen. Wir vertesten das Konzept mit Piloten und stellen letztendlich das Ergebnis der breiten Menge zur Verfügung.
Ich begleite mein Team dabei von der Ideenfindung bis zur Umsetzung.
Was sind für dich die wichtigsten Werkzeuge, um den Nutzer ins Zentrum der Produktentwicklung zu rücken?
Also zuerst mal warst du ja dabei und hast uns geholfen, das entsprechende Mindset zu entwickeln.
Abgesehen davon sind Experimente fundamental. Es ist wichtig, das nötige Budget und die Zeit zu bekommen, den Nutzern in Ruhe zuzuhören, deren Bedürfnisse zu analysieren und zu experimentieren. Durch die Gespräche haben wir gemerkt, dass unsere Nutzer es gerne annehmen, mehr über ihr Unternehmen zu sprechen und uns dabei als Sparringspartner zu haben.
Am Ende des Tages spart man mit dieser Vorgehensweise eine Menge Geld. Unsere Erkenntnisgewinn-Kurve war super steil. Es war wie ein kleiner Stein, der losgerollt ist und für eine interne Lawine gesorgt hat: "Ah, wenn ich hier investiere, spare ich woanders Ressourcen."
Wie empfindest du diese veränderte Wahrnehmung innerhalb der Unternehmen?
Spannend sind die kulturellen Veränderungen. Wir kommen aus einer Kultur, in der man alles kann. Auch ich als Bänkerin war erzogen, Risiken zu vermeiden und alles können zu müssen. Zudem ist man innerhalb der Finanzwelt stark reguliert und auf Korrektheit getrimmt.
Diese Kultur der Korrektheit ist plötzlich auf experimentelle Methoden gestoßen. Und wir können und wissen nun mal nicht alles. Experimente zuzulassen, sich in einem Interview auch mal bewusst unwissend zu stellen und nachzufragen, was gewünscht wird. Wir mussten lernen, mit unbekannten Situationen umzugehen.
Umso schöner, dass die Experimente gut laufen und wir so Stück für Stück mehr über unsere Nutzer erfahren. Diesen Prozess hautnah erleben zu dürfen und dabei gemeinsam Erkenntnisse zu gewinnen, verändert die Haltung.
Ablauf von Nutzertests
Wie laufen Nutzertests bei euch ab?
Das kommt ganz darauf an, was wir machen und testen. Wir haben methodisch viel von euch gelernt.
Das Wichtigste am Experiment ist, eine Hypothese zu formulieren. Im Team überlegen wir, was wir glauben und was wir herausfinden möchten. Mit einer gut formulierten Hypothese liegt schon fast automatisch die richtige Methode auf der Hand.
Je nach Zielgruppe arbeiten wir entweder remote oder persönlich. In beiden Fällen laden wir die Teilnehmer zu einem Termin ein und erklären ganz grob, worum es geht. Je nach Test werden sie dann von uns mit einem Prototypen, mit Interviewfragen, mit Karten, die sie priorisieren sollen oder mit A/B-Beispielen konfrontiert. Und dann beobachten wir eigentlich nur und sammeln Erkenntnisse.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Interview am Anfang als Herausforderung wahrgenommen wird, das wirklich Herausfordernde dann aber eher die Handhabung der Erkenntnisse ist.
Am Anfang haben wir einen organisatorischen Fehler gemacht: Wir haben unsere Hypothesen aufgestellt und Tests durchgeführt. Wir haben gedacht, dass wir die Erkenntnisse zwei Wochen darauf in den Sprint aufnehmen und unsere Entwickler loslegen können. Diesen Plan haben wir aber ohne unsere Probanden gemacht. Und da kommt genau das zu tragen, was du gesagt hast.
Wir müssen uns wirklich die Zeit nehmen, ehrlich zu besprechen und vor allem zu verstehen, was wir gelernt haben. Denn sonst können wir auch den Test sein lassen.
Wenn wir erst zwei Wochen vor der Entwicklung testen, haben wir keine Zeit zu lernen. Deshalb setzen wir uns nach dem Test mit dem Team zusammen und diskutieren, was wir gelernt haben. Super interessant ist, dass die Teammitglieder unterschiedliche Erkenntnisse und Wahrnehmungen aus den Interviews mitnehmen.
Wir hatten auch bereits invalidierte Hypothesen. Unser Prototyp war für den Alltag unserer Nutzer irrelevant. Sie waren völlig uninteressiert und gelangweilt. Für uns ist die Entscheidung damit gefallen: Wir brauchen weder Energie noch Geld in die Weiterentwicklung investieren.
Lösung- vs. Problemraum
Die Lösung von dem Problem zu trennen ist oftmals nicht leicht – hast du da eine Entwicklung in deinem Team bemerkt?
Nach einem Experiment betrachten wir im ersten Schritt nur die Beobachtungen. Und erst im zweiten Schritt gehen wir auf Interpretationen ein.
Wir sind soweit, dass uns der Unterschied bewusst geworden ist und dass wir uns Zeit nehmen, darüber zu diskutieren. Ich würde sagen, dass wir hier innerhalb des Projektteams permanent besser werden.
Hast du Erfahrungen mit anderen Methoden gemacht, die euch in dem Prozess der nutzerzentrierten Produktentwicklung begleiten?
Das Interview ist bei uns das wichtigste Werkzeug. Neben dieser qualitativen Methode kommen auch Umfragen zum Einsatz. Meistens wenn wir eine breitere Meinung brauchen. Wir überprüfen so, ob wir wirklich auf dem richtigen Weg sind und machen eine quantitative Vorauswahl.
Nächste Schritte
Was möchtest du als Nächstes ausprobieren?
Ich möchte Nutzer noch besser einbinden. Aktuell treffen wir eine Vorauswahl und lassen diese von den Nutzern priorisieren. Die wichtigsten Punkte werden anschließend qualitativ vertestet. Ich möchte in Zukunft noch mehr mit den Kundendaten arbeiten, um das Bestmögliche weiterzuentwickeln. Da die ersten Produkte mittlerweile auf dem Markt sind, können wir hier nun ansetzen. Das ist jetzt keine Raketenwissenschaft. Aber für uns der nächste Schritt.
Empowerment
Welche Rolle spielt für dich Empowerment innerhalb deines Projektteams?
Ich stelle mir regelmäßig die Frage, wie ich meine Kollegen besser enablen kann.
Neben der Fehlerkultur geht es dabei vor allem um die Experimentierfreudigkeit. Hier möchte ich mit gutem Beispiel vorangehen. Wenn wir innerhalb von Experimenten gute Erkenntnisse erzeugen und diese gemeinsam erleben und diskutieren, bringt das nicht nur Spaß, sondern regt auch die Interaktion an.
Ein wichtiger Faktor ist zudem das Konzernumfeld, in dem wir uns bewegen. Es geht beim Enablement auch darum, sich aus diesen Konzernstrukturen lösen zu können. Experimentierfreude heißt, dass wir uns Zeit nehmen – und dass wir nicht versinken in Verwaltung und Dokumentationen und Checklisten.
Vielen Dank für deine Tipps und Erfahrungen, Friederike.