Wieso lohnt es sich, in UX-Maßnahmen zu investieren? Lässt sich der Ertrag dieser Investition bemessen, so dass sie im Business-Kontext auch leichter verargumentiert werden kann? Was sind über die reine Quantifizierung hinaus wirkende Werte, die sich in Projekte und Unternehmen tragen lassen? Es folgt eine kleine Hilfestellung für jeden, der diese Fragen sich selbst oder anderen beantworten muss.
Wer fragt eigentlich nach dem Wert?
Taucht in Digitalprojekten die Frage nach dem ROI von UX auf, so kommt dies meist aus der Business-Richtung, oft aus nahegelegenen Stakeholderkreisen bis hin zum Projektsponsor. Und die Frage ist nachvollziehbar und berechtigt. Der ROI, der Return on Investment, ist eine Kennzahl, die sehr stark vereinfacht, aber effizient darstellt, wie sich investiertes Kapital auf den Gewinn auswirkt. Die Messbarkeit ist dabei oft der entscheidende Faktor. Eine weit verbreitete Annahme ist, dass sich User Experience Design einer harten Bewertung durch Kennzahlen verwehrt und lieber im sicheren Raum von Produktqualität und positiven Nutzererlebnissen verweilt. Dem ist nicht so. Die Effekte von UX lassen sich messen, die Bemessungsgrundlagen müssen dabei nur selbst, in Abhängigkeit vom jeweiligen Kontext, erarbeitet werden.
In Produktteams begegnet mir immer wieder die Frage: „Wie wissen wir, dass wir erfolgreich waren?“ UX-Berater sind dabei oft selbst die Treiber, die eine Tachonadel installieren wollen, an der sie ablesen können, ob eine Lösung Effekte erzielt oder nicht. Dazu gehört im Übrigen auch das klare Formulieren von Zielen und Erfolgs- oder Fail-Faktoren. Wie weit muss die Tachonadel ausschlagen, damit wir das Feature auf „Done“ schieben dürfen? Ab wann müssen wir zurück ans Reißbrett? Der Wunsch nach harten Zahlen kann also auch im Team selbst entstehen und wird nicht nur von außen als Erfolgsanforderung gestellt.
Qualitative Faktoren sollten aber auf keinen Fall unter den Tisch fallen, wenn es um den wichtigen Beitrag von UX zum Produktentwicklungsprozess geht. Diese Effekte sind jedoch schwerer messbar und vielschichtiger, so dass wir sie eher in Form einer lebendigen Erzählung darstellen.
Es ist also eine Mischung aus klarer Messbarkeit und qualitativen Attributen, mit der man beschreiben kann, warum sich die Investition in UX bezahlt macht.
Warum lohnt sich also der Einsatz von UX?
Ganz allgemein gesprochen gibt es viele gute Gründe, in UX zu investieren, und fast keine, es nicht zu tun. Zu den entscheidenden Mehrwerten zählen:
UX und Usability wirken, ob man will oder nicht
Ähnlich wie bei Marken, die auch ohne aktive Beteiligung des Business am Markt wirken, ist es auch bei UX ratsam, sich darüber ein Bild zu verschaffen, was das eigene Produkt mit dem Nutzer am anderen Ende macht. Schlimmstenfalls verliert man gerade ungesehen Kunden und Reputation am Markt wegen eines leicht zu behebenden Usability-Problems. Bitte nicht!
Höhere Produktattraktivität und Kundenbindung
Das Bemühen um eine passgerechte und innovative Lösung sorgt beim Nutzer für ein Erlebnis, das ihn wiederkehren und investieren lässt. Die Joy Of Use beispielsweise ist ein Faktor, der sich nicht nur im B2C-Umfeld in Form von Kauf, Abo-Verlängerung oder Weiterempfehlung widerspiegelt, auch im B2B-Kontext hat eine attraktive Anwendung positive Effekte auf der menschlichen und der geschäftlichen Ebene, z. B. hinsichtlich Produktivität und Freude am Arbeiten.
Wettbewerbsvorteil
Durch Forschungs- und Innovationsmethoden, die ein Einsatz von UX mit sich bringen kann, lassen sich von Anfang an klare Positionierungsmerkmale herausarbeiten, die eine Lösung vom Wettbewerb abhebt. In der heutigen Produktlandschaft kann schon ein gut gestaltetes, innovatives kleines Feature eine führende Position am Markt sichern. UX liefert Methoden, um diese Potenziale zu heben.
Gewinn- und Umsatzsteigerungen
Mit einer hochwertig gestalteten und durchdachten Benutzeroberfläche lassen sich auch Kennzahlen wie Gewinn und Umsatz deutlich steigern. Im Konsumenten-Segment, vor allem in Märkten mit hohem Wettbewerb, entscheiden Menschen bei ähnlichem Content- und Feature-Set häufig auch danach, wie sich das Produkt in der Nutzung anfühlt, und letztlich auch, wie es aussieht. Dabei bleibt einem oft nicht viel Zeit, den Kunden in der ersten Entscheidungsphase zu überzeugen.
Steigerung von Produktivität beim Nutzer
Ein auf Interaktionsebene gut gestaltetes Tool im B2B-Kontext zielt häufig auf Effizienz und Effektivität ab und möchte den Nutzer so schnell und einfach wie möglich zu seinen Zielen bringen. Das macht Mitarbeiter nicht nur schneller, es führt bestenfalls auch zu einer erhöhten Qualität ihrer Arbeit und macht mehr Spaß. Denkt man beispielsweise an komplexe Formularstrecken im Versicherungsbereich, lassen sich durch entsprechende UX-Methoden umständliche Eingaben verkürzen und Fehlerquellen reduzieren.
Kostenersparnis im Bereich Support und Schulungen
Gerade im B2B-Segment lassen sich positive Effekte auf Kostenentwicklungen erzielen. Beispielsweise kann eine Anwendung durch UX auf eine steile Lernkurve hin optimiert werden. Eigene Mitarbeiter werden schneller einsatzfähig, müssen nicht mehr aufwendig geschult werden und fühlen sich am Ende des Tages auch ein Stück kompetenter mit einer maßgeschneiderten Lösung. Gleichzeitig verringern selbsterklärende und intuitive Anwendungen den Druck auf den Produktsupport und damit letztlich auch wieder die Kosten.
Zeit- und Kostenersparnis in Entwicklungsteams
Steht man vor der Aufgabe, ein eigenes Software-Team in einem agilen Entwicklungsumfeld zu formen, bietet die Beteiligung von UX die Möglichkeit, Geschwindigkeit zu erhöhen und Kosten zu sparen. Blicken alle Teammitglieder beispielsweise regelmäßig auf einen abgestimmten Design-Prototypen, gibt es früher ein gemeinsames Verständnis über die aktuelle Anforderung und unnötige Diskussionen werden effizient verkürzt. Durch weniger Missverständnisse spart man sich am Ende auch teure Umbauten.
Risikominimierung im Projektverlauf
Durch ein dem Entwicklungsteam zeitlich vorgelagertes UX-Gewerk lassen sich Lösungsansätze schon früh so weit validieren, dass sich das Team sicher sein kann, dass sie auch nachweislich beim Nutzer ankommen und verstanden werden. Damit minimiert man das Risiko, vor allem in frühen Projektphasen das Falsche zu bauen, und schafft auch hier Raum für ein frühes gemeinsames Verständnis unter allen Projektbeteiligten. Der wichtige erste Eindruck beim Endnutzer ist dann auch nachhaltiger und die Akzeptanz höher.
In UX steckt Innovationspotenzial
Methoden aus dem Umfeld des Human Centered Design oder dem Design Thinking schaffen es schon in frühen Phasen, Innovationspotenziale zu entdecken und zu heben. Dabei ist immer wieder spannend, woher Innovation kommen kann – beispielsweise aus Workshops mit diversifizierten Teams von Mitarbeitern, die augenscheinlich gar keine Entwickler- oder Designer-Rolle innehaben müssen. Aber auch das richtige Einholen und Verarbeiten von Nutzerfeedback bietet deutliche Chancen, auf Ideen zu kommen, die einer Lösung spannende Alleinstellungsmerkmale verpassen können. Gewusst wie.
Wie kommt man an konkrete Zahlen?
Eine konkrete Nutzenrechnung des Einsatzes von UX hängt immer vom Projektkontext und den entsprechenden Kennzahlen ab. Auf jeden Fall ist es ratsam, klare Messgrößen zu definieren, anhand derer die Effekte von UX- und Usability-Maßnahmen bewertet werden. Für die Bewertung ist es entscheidend, eine Ist-Analyse vorzunehmen und dieser ein Soll-Szenario mit klaren Ziel- oder auch Fail-Vorgaben gegenüberzustellen. Außerdem ist es ratsam, in der Prüfphase externe Wirkfaktoren so weit wie möglich auszuschließen, um die Ergebnisse eindeutig dem UX-Einsatz zuschreiben zu können.
Ein Beispiel für eine Nutzenrechnung könnte sein:
Kontext: Banking-App, Unterbereich Aktien-Investment
Ziele
- Online getätigte Orders auf Aktien erhöhen
- Anzahl der Orders auf anderem Wege verringern (Mail, Fax, Telefon)
- Kosten für die Order-Bearbeitung senken!
Ist-Analyse
- 100 Orders pro Tag, 40 % online, 60 % per Mail/Fax/Telefon (manuell)
- Kosten der Bearbeitung pro manueller Bestellung: 10 €
- Kosten der manuellen Order-Bearbeitung: 600 € / Tag (12.000 € / Monat)
UX-Einsatz
- Experten-Evaluation des Online-Order-Flows und Auswertung von Analytics-Daten
- Details: Es gibt signifikant hohe Abbruchraten auf einer zentralen Bestellseite. Ein leicht zu übersehendes Pflichtfeld auf einer Formularseite gepaart mit einer missverständlichen Button-Beschriftung führt beim Endnutzer zu Irritation, Unsicherheit und Abbrüchen im Bestellprozess. Außerdem werden alternative Bestellwege zu prominent angeboten.
- Maßnahme: Umgestaltung des Order-Flows und leichtgewichtiger Usability-Test zur Absicherung der neuen Lösung.
- Soll-Szenario und Zieldefinition: 100 Orders / Tag, 60 % online, 40 % per Mail/Fax/Telefon
Ergebnis nach umgesetzten Maßnahmen
- 100 Orders / Tag, 80 % online, 20 % per Mail/Fax/Telefon
- Ziel deutlich überschritten (um 20 %)
- Kosten der manuellen Order-Bearbeitung: 200 € / Tag (4.000 € / Monat)
- Kostenersparnis pro Monat: 8.000 € (96.000 € pro Jahr)
An diesem Beispiel lässt sich leicht ablesen, dass ein mit überschaubaren Mitteln getätigter Einsatz von UX auf ein klar abgrenzbares Problemfeld eine jährliche Kostenersparnis im knapp sechsstelligen Bereich nach sich ziehen kann.
Fazit
Der finanzielle Wert von UX ist klar messbar. Ihn wie im obigen Beispiel zu berechnen kann sinnvoll sein, wenn Stakeholder aus dem unternehmerischen Umfeld nach einer harten Kalkulation fragen. Dennoch liegt der wahre Wert einer qualitativ hochwertigen Nutzererfahrung eben nicht nur in der kühlen Optimierung und Effizienzsteigerung, sondern in einem warmen Erlebnis mit Marke oder Produkt. Die nicht messbaren Faktoren sind oft auch die nachhaltigsten und die Strahlkraft einer freudestiftenden Interaktion geht von der eigenen Organisation aus bis hin zum Endnutzer und seinem Umfeld. Und diese Energie wird sich am Ende auch wieder positiv auf die Bilanz auswirken.