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Feature-Flut in SAFe? So triffst du bessere Produktentscheidungen

Senior UX-Berater Christian Korff von UX&I Hamburg
Von

Christian Korff

UX-Beratung mit Büros in Düsseldorf, München und Berlin | UX&I

Das agile Framework SAFe® (Scaled Agile Framework®) soll Unternehmen dabei helfen, komplexe Produktentwicklungen agiler und kundenorientierter zu gestalten. Doch oft zeigt sich in der Praxis ein anderes Bild: Es werden monatelang Features entwickelt, die am Ende kaum einen Mehrwert bieten. Woran liegt das – und wie kann das verhindert werden?

Warum mit SAFe oft nicht das Richtige entwickelt wird

SAFe® setzt auf agile Prinzipien, doch eine entscheidende Phase wird häufig vernachlässigt: Die Erforschung des Problemraums und die Definition der Probleme, die es wert sind, gelöst zu werden. Das Double-Diamond-Modell aus dem Design Thinking beschreibt zwei Phasen:

  • Problemraum: Was ist das eigentliche Problem, das gelöst werden soll?
  • Lösungsraum: Wie sieht die bestmögliche Lösung dafür aus?
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Der Double Diamond mit Problem- und Lösungsraum

Während der zweite Diamant – die Lösungsentwicklung – in vielen SAFe®-Projekten gut funktioniert, fehlt oft die notwendige Tiefe in der ersten Phase. Es ist ein häufiges Muster, das sich in Unternehmen zeigt: Entscheidungen über die Entwicklung neuer Funktionen basieren oft auf internen Annahmen statt auf validen Daten oder echten Nutzerbedürfnissen bzw. Problemen. In der Folge werden Teams damit beauftragt, für diese Annahmen Lösungen zu entwickeln. So entstehen Features, die später kaum Anwendung finden, da sie kein echtes Nutzerproblem lösen und entsprechend Prozesse nicht effizienter, sondern im schlimmsten Fall sogar komplexer machen.

Lieber schauen statt lesen?

Wir haben zum Thema dieses Artikels ein Webinar aufgenommen. Dort erfährst du, warum SAFe® oft scheitert und wie du bessere Produktentscheidungen triffst. 

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Strategischen Research als festen Bestandteil von SAFe integrieren

Um sicherzustellen, dass SAFe® nicht nur effizient, sondern auch effektiv funktioniert, braucht es eine strukturierte Herangehensweise an die Problemfindung. Dafür muss strategischer Research systematisch in die Entscheidungsfindungsprozesse eingebunden werden.

Drei zentrale Maßnahmen für besseren Research: echte Nutzerforschung statt fachlichem Input

1. Nutzerforschung als Grundlage für Entscheidungen

Jede erfolgreiche Produktentwicklung beginnt mit einem tiefen Verständnis für die Nutzer*innen. Doch oft verlassen sich Produktmanager*innen oder andere Entscheider*innen auf Annahmen oder unzureichende Daten. Ein solider Research-Prozess beinhaltet qualitative und quantitative Methoden, wie Interviews, Umfragen oder Datenanalysen. Dabei sollte nicht nur erfasst werden, was Nutzer*innen tun, sondern vor allem, warum sie es tun. So lassen sich echte Pain Points identifizieren, die dann in die Entscheidung darüber, was entwickelt werden soll, einfließen können.

2. Nutzerforschung als kontinuierlichen Prozess begreifen

Research ist kein einmaliges Ereignis am Anfang eines Projekts, sondern ein fortlaufender Prozess, der sicherstellt, dass die Produktentwicklung auf den tatsächlichen Bedürfnissen der Nutzer*innen basiert – mit unterschiedlichen Methoden in allen Phasen der Produktentwicklung und auf allen Ebenen des SAFe®-Frameworks.

In der Praxis kann das dann so aussehen, dass auf der untersten Ebene in den Entwicklungsteams regelmäßige Usability Tests mit Prototypen und ersten Entwicklunsergebnissen durchgeführt werden. Gleichzeitig werden in den Ebenen darüber Kontextinterviews mit Nutzer*innen durchgeführt, die darauf abzielen, die Arbeitsprozesse zu verstehen und die Probleme und Herausforderungen zu identifizieren, die zum jeweiligen Zeitpunkt existieren.

Jede Ebene in SAFe® sollte also entsprechend ihrer Flughöhe im Projekt Nutzerforschung mit den jeweils geeigneten Methoden durchführen.

3. Nutzerforschungsergebnisse zentral aufbereiten

Damit die Ergebnisse aus der Nutzerforschung auch auf allen Ebenen in die Produktentwicklung einfließen können, ist es essentiell, dass diese an zentraler Stelle und in passenden Formaten aufbereitet und zugänglich gemacht werden. Dabei ist es wichtig, dass Erkenntnisse, die an unterschiedlichen Stellen und von unterschiedlichen Personen erhoben wurden, ihren Weg in die zentral gepflegten Formate finden. In Nutzertests, die auf der Ebene der Entwicklungsteams durchgeführt werden, kommen oft Dinge zu Tage, die interessant für die Gesamterfahrung der Nutzer mit dem gesamten Produktportfolio sind. Daher sollten sie auch in eine Experience Map und User Journey einfließen, die diese Gesamterfahrung betrachten. Dadurch können diese Erkenntnisse auch auf höheren Ebenen in die Entscheidungsfindung mit einbezogen werden und das Wissen darum verbleibt nicht im Entwicklungsteam, wo es erhoben wurde.

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Experience Mapping hilft, Kunden- oder Nutzerinteraktionen über verschiedene Touchpoints hinweg zu verstehen.

Neue Denkweise für SAFe-Projekte

Die oben genannten Forschungsaktivitäten und das Aufbereiten der Ergebnisse erfordert allerdings neue Denk- und Arbeitsweisen und ein Ausbrechen aus bzw. Erweitern der etablierten Prozesse und Rollen in SAFe®. Ohne dies wird es vermutlich nicht funktionieren, da die bereits bestehenden Rollen, insbesondere auf den höheren Ebenen, oft nicht über die nötigen Fähigkeiten verfügen und vor allem keine Kapazitäten haben, diese zusätzlichen Aufgaben zu übernehmen.

Produkt-Trios auf allen Ebenen

In den letzten Jahren hat sich in der Produktentwicklung ein Konzept herauskristallisiert, das inzwischen als maßgebliches Schlüsselelement für erfolgreiche Produkte gilt.

Dabei handelt es sich um ein interdisziplinäres Team, das die drei Kompetenzbereiche Business, Tech und User abdeckt und gemeinsam basierend auf den jeweiligen Erkenntnissen und Anforderungen der drei Bereiche Produktentscheidungen trifft.

Solche interdisziplinären Teams, oder auch wie von Teresa Torres genannten Produkt-Trios, sind in SAFe® in seiner Reinform nicht oder nur auf der untersten Ebene der Entwicklungsteams vorgesehen.

Damit die oben beschrieben Forschungsaktivitäten auf den jeweiligen Ebenen durchgeführt werden können und vor allem die Erkenntnisse daraus auch in Produktentscheidungen einfließen können, sollten Produkt-Trios auf allen Ebenen in SAFe® eingeführt werden. Das bedeutet, dass Entwicklungsteams über UX-Designer*innen verfügen sollten und dass zusätzlich zu Produktmanager*innen und Systemarchitekt*innen noch UX-Manager*innen das Produkt-Trio auf ART-Ebene (Agile Release Trains)  vervollständigen. Analog dazu sollte es dann auch auf Enterprise-Solution-Ebene UX-Manager*innen neben den Solution-Manager*innen und Solution-Architekt*innen geben  – und im besten Fall auch eine entsprechende UX-Rolle auf der Ebene des Lean Portfolio Managements.


Wenn du erfahren möchtest, wie Teresa Torres die Produkt-Trios beschreibt, empfehlen wir dir dieses Video (YouTube): What's a product trio?

SAFe-Prozesse an neue Research-Strategie anpassen

Damit Research-Ergebnisse aus allen Ebenen an zentraler Stelle gesammelt und zugänglich gemacht werden können, ist es unablässig, eine beidseitige Kommunikation zwischen den unterschiedlichen Teams auf den unterschiedlichen Ebenen sicherzustellen. Dafür sind Austauschformate nötig, in denen die verschiedenen Personen ihre Erkenntnisse teilen können. Und es braucht Verantwortliche, die sicherstellen, dass alle gewonnenen Erkenntnisse in die entsprechenden Dokumentationsformate mit einfließen und zugänglich gemacht werden.


Dabei ist es wichtig, dass der Informationsfluss in alle Richtungen funktioniert. Das bedeutet, dass UX-Designer*innen, die im Entwicklungsteam tätig sind und dort Usability Tests durchführen, ihre Ergebnisse auch in die obersten Ebenen von SAFe® tragen können und gleichzeitig aus diesen höheren Ebenen Informationen beziehen können, die ihnen bei der Konzeption neuer Features helfen.

Weg von internen Annahmen hin zu datengetriebenen Entscheidungen

Die gewonnenen und zentral dokumentierten Research-Ergebnisse liefern die perfekte Grundlage, um Entscheidungen zu treffen, die dem Produkt den echten Mehrwert bringen und es erfolgreich machen. Heutzutage werden Entscheidungen darüber, welche Features entwickelt werden, meist aus einer reinen Business-Sicht getroffen. Bei der Umsetzung dieser Features wird dann häufig auf sogenannte Fachexpert*innen zurückgegriffen, die zu Beginn des Projekts aus ihren operativen Nutzerrollen herausgenommen wurden und fortan den Entwickler*innen als Prozesskenner*innen beratend zur Seite stehen.

Das Problem dabei ist, dass diese aus reiner Business-Sicht getroffenen Entscheidungen meist nicht die wirklichen Bedürfnisse der späteren Nutzer*innen adressieren, sondern lediglich versuchen, Prozesse in etwas Digitales zu überführen. Gleichzeitig schaffen es auch die Fachexpert*innen auf der Entwicklungsteam-Ebene nicht, echte Innovationen herbeizuführen, da sie sich auf die alten Systeme fokussieren, die sie aus ihrer operativen Zeit kennen. So werden lediglich alte Lösungen reproduziert – diese stehen dann zwar auf einer neuen technischen Basis, sind in der Handhabung ihren Vorgängersystemen aber sehr ähnlich und führen entsprechend nicht dazu, ihre Nutzer*innen effizienter zu machen.

Stattdessen müssen auf den oberen Ebenen die neu eingeführten UX-Rollen mit einbezogen werden. Dadurch können die gewonnenen Research-Ergebnisse mit in die Entscheidungen einfließen. Eine echte Kollaboration der drei verschiedenen Sichtweisen von Business, Tech und Nutzer ermöglicht es, diese drei Bereiche in Einklang zu bringen und Feature-Entscheidungen zu treffen, die einerseits den Nutzer*innen einen echten Mehrwert bringen und andererseits auch die geschäftlichen Bedürfnisse und technischen Anforderungen berücksichtigen.

Wenn dann den UX-Designer*innen auf der Ebene der Entwicklungsteams ausreichend Freiheit bei der Lösungsgestaltung gelassen wird, können echte Innovationen entstehen, die die Arbeitsprozesse der Nutzer*innen nachhaltig zum Besseren verändern.

Fazit: SAFe braucht echten Nutzerfokus

SAFe® bietet als Framework viele wertvolle Strukturen für die Skalierung agiler Arbeitsweisen. Doch um wirklich nutzerzentrierte und erfolgreiche Produkte zu entwickeln, reicht das allein nicht aus. Ohne die konsequente Integration von strategischer Nutzerforschung droht SAFe® in eine reine Feature-Factory zu kippen, in der Annahmen statt Erkenntnisse dominieren.

Der Schlüssel liegt darin, Research als kontinuierlichen, strukturierten und zentral verankerten Bestandteil von SAFe® zu etablieren – auf allen Ebenen, mit den passenden Rollen und Prozessen. Nur so können fundierte Entscheidungen getroffen werden, die Business-Ziele mit echten Nutzerbedürfnissen verbinden. Dafür braucht es neue Denkweisen, neue Formate der Zusammenarbeit und ein echtes Umdenken in der Priorisierung.

Wenn es gelingt, Nutzerperspektiven systematisch in die Produktentwicklung einzubeziehen, entstehen Lösungen, die nicht nur funktionieren, sondern echten Mehrwert schaffen – für Nutzer*innen und für das Unternehmen. SAFe® wird so zu einem wirksamen Werkzeug, um wirklich bessere Produkte zu bauen.

Unser Experte

Senior UX-Berater Christian Korff von UX&I Hamburg

Christian Korff

Senior UX-Berater

“UX ist nur nachhaltig, wenn alle mitziehen.” Christian Korff macht User Experience zum Teamsport und bringt sich besonders gern bei komplexen Systemen ein.

Inhaltsverzeichnis
  1. Warum mit SAFe oft nicht das Richtige entwickelt wird
  2. Strategischen Research als festen Bestandteil von SAFe integrieren
  3. Neue Denkweise für SAFe-Projekte
  4. Weg von internen Annahmen hin zu datengetriebenen Entscheidungen
  5. Fazit: SAFe braucht echten Nutzerfokus

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Nadine Pieper, Senior UX-Beraterin

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